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Integrables System

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Ein integrables System ist ein dynamisches System, welches eine besonders hohe strukturelle Ordnung und explizite Lösbarkeit besitzt. Integrablität bedeutet, dass das System eine tieferliegende mathematische Struktur besitzt, die seine explizite Lösung durch systematische Methoden erlaubt. Durch die Lösbarkeit des Systems erhält man insbesondere eine präzise Vorhersage des Langzeitverhaltens des Systems, was solche Systeme von chaotischen Systemen unterscheidet. Es existiert keine einheitliche formale Definition des Begriffs integrables System, der Begriff wird in verschiedenen Kontexten unterschiedlich verwendet.

In der klassischen Mechanik bezeichnet man ein System als integrabel, wenn es Liouville-integrabel (s. u.) ist, das heißt, wenn es genügend viele in Involution stehende (s. u.) Erhaltungsgrößen besitzt. Für quantenmechanische Systeme existiert der Begriff der Quantenintegrabilität. In moderneren Ansätzen wird ein System als integrabel bezeichnet, wenn es explizit gelöst werden kann, etwa durch Methoden wie die inverse Streutransformation, Riemann-Hilbert-Analyse oder determinantenbasierte Verfahren. Der Fokus liegt dabei weniger auf der Existenz struktureller Kriterien wie zum Beispiel Lax-Paaren oder Symmetrien, sondern auf tatsächlicher Lösbarkeit und Kontrolle der asymptotischen Regionen, das heißt das Verhalten in den Grenzregionen.[1]

Integrable Systeme treten in zahlreichen Bereichen der Mathematik und Physik auf, darunter in der Theorie der nichtlinearen partiellen Differentialgleichungen (z. B. Korteweg-de-Vries-Gleichung, nichtlineare Schrödingergleichung), in der statistischen Mechanik (z. B. Ising-Modell, XXZ-Modell), der Wahrscheinlichkeitstheorie (z. B. Zufallsmatrizen, integrablen Wahrscheinlichkeit, TASEP), der Darstellungstheorie, der algebraischen Geometrie und weiter. Der Begriff der Integrablen Methode (IM) steht dabei für ein einheitliches methodisches Gerüst, das viele dieser scheinbar unterschiedlichen Anwendungen miteinander verbindet.[2]

Integrables System

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Klassische Mechanik

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Sei ein -dimensionaler Phasenraum mit Koordinaten und (Position und Impuls) und Hamilton-Funktion gegeben. Für zwei Phasenraumfunktionen und werden die Poisson-Klammern definiert

Die Poisson-Klammer kann hergeleitet werden, in dem man nach der Zeit ableitet und dann die hamiltonschen Bewegungsgleichungen

einfügt.

Zwei Funktionen und Poisson-kommutieren, wenn die Poisson-Klammer verschwindet . Eine Funktion , die mit dem Hamiltonian Poisson-kommutiert, ist eine Erhaltungsgröße. Wenn , dann sagt man auch, dass und in Involution stehen, weil die Größen, die durch diese Funktionen beschrieben werden, unabhängig voneinander sind und sich in ihrer Entwicklung nicht gegenseitig beeinflussen.

Ein dynamisches System heißt Liouville-integrierbar falls es unabhängige Erhaltungsgrößen hat, die gegenseitig in Involution stehen

[3]

Der Satz von Liouville sage:

Sei eine Hamilton-Funktion auf mit kanonischer Poisson-Klammer und seien Integrale der Bewegung, welche gegenseitig Poisson-kommutieren für . Falls unabhängig auf der Niveaumenge
sind, dann erhält man die Lösung der Hamilton-Gleichung auf durch Quadratur (d.h. explizite Integration).[4][5]

Modernere Theorien

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Die moderne Theorie integrierbarer Systeme begann mit der 1967 erschienen Arbeit von Clifford Gardner, John Greene, Martin Kruskal und Robert Miura (GGKM)[6], die eine neuartige Methode zur Lösung der Korteweg-de-Vries-Gleichung (KdV)

entwickelten, die Inverse Streutransformation. Diese Methode beruhte auf der Spektral- und Streutheorie des zeitabhängigen Schrödinger-Operators und ermöglichte die explizite Integration der KdV-Gleichung. Ein Jahr später formulierte Peter Lax die Gleichung um. Sei , dann lässt sich die KdV-Gleichung als Lax-Gleichung

formulieren. Der Operator wurde so gewählt, dass das Spektrum von über die Zeit konstant bleibt, das heißt es gibt eine Familie unitärer Transformationen so dass und daraus folgt . Man nennt dies isospektrale Deformation von .[7] Die konstanten Eigenwerte sind dabei Erhaltungsgrößen des Systems, so dass die KdV-Gleichung Liouville-integrabel wird. Die Operatoren und nennt man Lax-Paare und für andere partielle Differentialgleichungen wurden später weitere Lax-Paare gefunden, darunter die nichtlineare Schrödinger-Gleichung und die Sinus-Gordon-Gleichung.[8][9]

Abstrakte Definition

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Die nachfolgende Definition stammt von Percy Deift und verzichtet dabei auf die Begriffe Liouville-Integrabilität und Erhaltungsgrößen:[10]

Ein dynamisches System gilt als integrables System, wenn
  • es eine bijektive Substitution gibt, sodass durch die Transformation die Abhängigkeiten des System von einfach und gut verstanden ist.
  • die Abbildungen und einfach und gut verstanden sind, sodass daraus das Verhalten von explizit erschlossen werden kann, insbesondere in den Fällen, wenn variieren und speziell klein oder groß werden.

Integrabilität vs. Nicht-Integrabilität

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Integrabilität bezeichnet ganz allgemein die Eigenschaft eines Systems, dessen Dynamik durch strukturierte Methoden explizit beschrieben werden kann, dies muss auch nicht immer in einer geschlossenen Lösungsform sein. In diesem Sinne sind integrable Systeme „lösbar“, weil man ihr Verhalten langfristig genau analysieren kann. Nicht-integrable Systeme sind hingegen durch Eigenschaften wie chaotisches Verhalten, starke abhängig von Anfangsbedingungen, dem Fehlen genügender Erhaltungsgrößen oder ganz allgemein dem Fehlen der Methoden, die mit integrablen Systemen verbunden sind, charakterisiert.[11][12]

  • Olivier Babelon, Denis Bernard und Michel Talon: Introduction to Classical Integrable Systems. Hrsg.: Cambridge University Press. Vereinigtes Königreich 2003.
  • Ana Retore: Introduction to classical and quantum integrability. In: Journal of Physics A: Mathematical and Theoretical. Band 55, 2022, doi:10.1088/1751-8121/ac5a8e.
  • Alain Goriely: Integrability and Nonintegrability of Dynamical Systems. Hrsg.: World Scientific. Singapur 2001.
  • Wladimir Jewgenjewitsch Sacharow: What Is Integrability? Hrsg.: Springer (= Springer Series in Nonlinear Dynamics). Berlin, Heidelberg 1991, doi:10.1007/978-3-642-88703-1.

Einzelnachweise

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  1. Percy Deift: Fifty Years of KdV: An Integrable System. 2019, arxiv:1902.10267 [abs].
  2. Percy Deift: Fifty Years of KdV: An Integrable System. 2019, S. 5–6, arxiv:1902.10267 [abs].
  3. Olivier Babelon, Denis Bernard und Michel Talon: Introduction to Classical Integrable Systems. Hrsg.: Cambridge University Press. Vereinigtes Königreich 2003, S. 5–6.
  4. Alaing Goriely: Integrability and Nonintegrability of Dynamical Systems. Hrsg.: World Scientific. Singapur 2001, S. 309.
  5. Percy Deift: Fifty Years of KdV: An Integrable System. 2019, S. 2–3, arxiv:1902.10267 [abs].
  6. C. S. Gardner, J. M. Greene, M. D. Kruskal und R. M. Miura: Method for Solving the Korteweg-deVries Equation. In: Physical Review Letter. Band 19, 1967, S. 1095–1097.
  7. Peter Lax: Integrals of nonlinear equations of evolution and solitary waves. In: Comm. Pure Appl. Math. Band 21, 1968, S. 6, doi:10.1002/cpa.3160210503.
  8. Alain Goriely: Integrability and Nonintegrability of Dynamical Systems. Hrsg.: World Scientific. Singapur 2001, S. 309.
  9. Percy Deift: Fifty Years of KdV: An Integrable System. 2019, S. 3, arxiv:1902.10267 [abs].
  10. Percy Deift: Fifty Years of KdV: An Integrable System. 2019, S. 9, arxiv:1902.10267 [abs].
  11. Wladimir Jewgenjewitsch Sacharow: What Is Integrability? Hrsg.: Springer (= Springer Series in Nonlinear Dynamics). Berlin, Heidelberg 1991, doi:10.1007/978-3-642-88703-1.
  12. Percy Deift: Fifty Years of KdV: An Integrable System. 2019, arxiv:1902.10267 [abs].